Vater und Bruder begingen Selbstmord. Hinterlassen haben sie eine traumatisierte Familie in der es eine junge Frau gibt, die stark sein muss. Stark für ihre Tochter. Denn ihre Tochter soll die Dramen, die sich abgespielt haben nur aus Erzählungen kennen und sich niemals selbst in solch einer Situation wiederfinden. Dieser Gastbeitrag reiht sich in meine Reihe „Mamagefühle“ ein. Denn oftmals scheint uns die (Online-) Welt der Mütter perfekt. Das die wenigsten Leute offen über die Schattenseiten ihres Lebens sprechen vergessen wir dabei. Auf meinem Blog dürfen sich Mütter alles von der Seele schreiben. Den Schreiben befreit.
G A S T B E I T R A G
Inhaltsverzeichnis
- 1 Unsere Kindheit war geprägt von Aggressionen und Ängsten
- 2 Mein Vater erschoss sich im Wohnzimmer
- 3 Ich wurde Mutter und baute mir ein schönes Leben auf
- 4 Und dann wiederholte sich das Drama
- 5 Nichts hat darauf hingedeutet
- 6 Das Leben geht weiter – für meine Tochter
- 7 Ihr wollt noch mehr aus der Reihe „Mamagefühle“ lesen?
Unsere Kindheit war geprägt von Aggressionen und Ängsten
Ich weiß eigentlich gar nicht wie ich anfangen soll, da ich es selbst nicht begreife und fassen kann was passiert ist.
Ich habe zwei Geschwister, eine jüngere Schwester und einen jüngeren Bruder. Unsere Kindheit war mit Aggressionen und Ängsten durch unseren Papa durchzogen, meine Mama ist eine Seele von Mensch.
Mein Vater erschoss sich im Wohnzimmer
Als sich dann mein Vater 2004 in unserem Wohnzimmer erschossen hatte, brach für uns wirklich eine Welt zusammen. Wir konnten einfach nicht fassen das er uns so etwas antut und meine Mama mit drei kleinen Kindern hinterlässt. Ich war damals 16, meine Schwester 11 und mein Bruder 6. Es war wirklich ein harter, steiniger Weg bis wir uns wieder aufrappeln konnten und ein einigermaßen normales Leben führen konnten. Wir gingen auch wieder in unser Haus zurück, es war ja unser „Zuhause“
Ich wurde Mutter und baute mir ein schönes Leben auf
So vergingen die Jahre, wir wurden erwachsen, hatten alle mittlerweile einen Job, meine Mama einen neuen Partner. Ich würde sagen wir waren glücklich und wieder im Leben angekommen. Niemals hätten wir gedacht das uns so etwas nochmal passieren könnte. Wir waren ein Kleeblatt, meine Mama, Schwester, mein Bruder und ich und standen uns sehr nahe und waren immer füreinander da. Ich habe mittlerweile selbst eine kleine Tochter und einen Mann, wir wohnen in meinem Elternhaus und mein Bruder bewohnt das Dachgeschoss. Wir waren also eine glückliche Familie, bis dann am 20.06.2017 der Supergau kam und um uns herum alles schwarz wurde.
Und dann wiederholte sich das Drama
Mein Mann fand meinen Bruder erhängt in unserer Scheune, als er früh auf die Arbeit fahren wollte. Nie werde ich die Worte vergessen, die mein Mann zu mir gesagt hat, als ich eigentlich noch im Halbschlaf war und mich gerade an meine kleine Tochter kuschelte. Mein Bruder war 19 Jahre alt und ein lebensfroher Mensch mit vielen Freunden, hilfsbereit und mit einem großen Herz.
Nichts hat darauf hingedeutet
Wir hatten es nicht geahnt und er hat uns auch nichts hinterlassen. Keinen Brief, nichts. Anfang Mai waren wir noch zusammen in Italien im Urlaub. Wir verbrachten dort eine tolle Zeit. Das macht es alles nur noch schwerer zu verstehen. Wir fühlen uns wie in einem Dejavu und sind fassungslos wie einsam er in seinem Herzen wohl gewesen sein muss. Es tut unglaublich weh und ist nicht in Worte zu fassen.
Das Leben geht weiter – für meine Tochter
So stehen wir nun, 13 Jahre später, wieder vor einem Scherbenhaufen wie damals, mit Fragen, auf die wir wohl nie mehr eine Antwort bekommen werden und ein Stück unseres Herzens wird wohl für immer gebrochen sein. Meine kleine Tochter versteht natürlich noch nichts von all den Dramen, die sich bisher in unserer Familie abgespielt haben und ich werde mein bestmöglichstes tun um sie davor zu bewahren selbst einmal in der Situation sein zu müssen, dass sich ein geliebter Mensch das Leben nimmt. Ich bin stark für meine Tochter, aber es ist sehr schwer immer die glückliche Mama zu sein wenn man innerlich gebrochen ist und die ganze Zeit nach Antworten sucht.
Vielen Dank Lisa für deine Offenheit!
Ihr wollt noch mehr aus der Reihe „Mamagefühle“ lesen?
- Wenn Mama psychisch krank ist
- „In mir war es laut“ – mein Gefühlschaos
- Das Hormon- und Gefühlschaos nach dem Abstillen
Bildquelle: https://stocksnap.io/photo/2Z3WL8STT0
Ich wünsche Lisa weiterhin viel Kraft und Stärke mit dieser tragischen Familiengeschichte zurecht zu kommen.
Doch es ist hart. Mein kleiner Bruder nahm sich 2007 mit knapp 15 Jahren das Leben.
Es traf uns auch komplett unvorbereitet. Ich war 19, meine Schwester 16 Jahre alt.
Nicht nur mit der überwältigenden Trauer fertig zu werden, war leider auch das Gerede über den Suizid sehr schlimm für uns.
Meine Mutter sagt heute, dass durch seinen Entschluss nicht nur das Leben danach, sondern vor allem davor in Frage gestellt wurde. Haben wir ihn unsere Liebe nicht oft genug gezeigt? Fragen über Fragen.
Warum konnten wir dich nicht halten? Warst du einsam, krank oder unglücklich?
Wir werden es nie erfahren. Aber ich weiß, das mein Bruder ein toller Junge war. Und ich vermisse ihn sehr. Am kommenden Sonntag ist sein Todestag. Die Familie wird sich im Elternhaus treffen und wir reden und werden auch lachen. Schauen uns vielleicht alte Familienfotos an..
Unsere Tochter ist mittlerweile 18 Monate alt und soll von diesem Verlust und der Trauerarbeit meiner Familie erst mal verschont bleiben. Dennoch wird sie irgendwann von ihrem Onkel erfahren.
Der Schmerz wird dennoch immer in mir sein.
Das ist ja alles wie ein nie enden wollender Alptraum. Grausam. Und trotzdem beeindruckend, welche Kraft und Stärke Menschen wie Lisa dann entwickeln können, um ihr Leben und das ihrer Lieben zu schützen. Ich bin in Gedanken bei Lisa und wünsche ihr und ihrer Familie alles Gute, noch mehr Kraft und Zuversicht.