Alle Eltern kennen sie, viele Eltern fürchten sie, wenn sie sich anbahnen: Gefühlsstürme und Wutanfälle. Wenn Kinder sich in der Autonomiephase, besser bekannt als „Trotzphase“, befinden, geht es oft so richtig rund – im Alltag und auch im Gehirn des Kleinkinds. Es gibt Tage, da häufen sich die Wutanfälle und gefühlt kann man dem Kind nichts recht machen. Schnell beschleicht einen da der Gedanke „Das Kind will mich doch nur provozieren“ oder „seine Grenzen austesten“, mal schauen, wie weit er oder sie gehen kann. Doch so „einfach“ ist es nicht. Was wirklich in der „Autonomiephase“ passiert und warum wir zunächst auf uns schauen müssen, wenn wir Gefühlsstürme und Wutanfälle begleiten wollen – das möchte ich in diesem Artikel beschreiben.
Ich bin Annika und ich bin Elternberaterin, Expertin für frühkindliche Entwicklung (M.A), und Podcasterin von Deine Familienbande. Ich verstehe mich als „Anwältin der Kinder“ und dolmetsche gerne das Verhalten von Kindern für verzweifelte Eltern.
Also, lasst uns das doch mal aufdröseln:
Inhaltsverzeichnis
Was passiert in der Autonomieentwicklung?
Viele sprechen von Trotzphase, doch das wird der komplexen Entwicklung, die das Kind durchläuft nicht gerecht. Denn der Begriff Trotzphase unterstellt dem Kind eine Absicht. Doch eigentlich kann es gar nichts dafür, was in seinem Gehirn so abläuft und wovon es tagtäglich so herausgefordert wird.
In der Autonomiephase haben Kinder die Aufgabe, ihr ICH-Bewusstsein zu entwickeln. Die ersten Lebensjahre verbringen sie in einer sehr engen (Ver-)bindung mit ihren Bindungspersonen, die ihnen Sicherheit, Liebe und Geborgenheit vermitteln. Dieses Fundament hilft nun dabei, dass Kleinkinder beginnen, ihre Welt auf ihre ganz eigene Art zu entdecken. Sie gehen los in die große weite Welt, schauen zur Sicherheit auch immer mal wieder zurück. Dabei stellen sie gelegentlich fest, dass ihnen in der großen weiten Welt Herausforderungen begegnen. Das macht manchmal ganz schön Angst und Unbehagen.
Die Autonomiephase hängt übrigens ganz eng auch mit der Bindungsentwicklung zusammen: Man spricht nicht umsonst von Bindung & Erkundung. Nur wenn unser Kind ein sicheres Fundament bekommen hat, kann es seine unsichtbare Nabelschnur verlängern und beginnen, die Welt zu entdecken und zu erkunden. Es beginnt, selbstständig (autonom 😉 ) zu werden.
Manches können sie noch nicht so, wie sie wollen (der berühmte Reisverschluss an der doofen Jacke) und manche Dinge sind unveränderlich und schmerzen daher ganz besonders. Der Keks ist zerbrochen, das Glas von der falschen Seite eingefüllt worden oder der Löffel hat die falsche Farbe.
Gefühlsstürme sind echter Weltschmerz – und der muss begleitet werden
Auch wenn uns Erwachsenen vieles belanglos vorkommt, kann das bei kleinen Kindern richtigen Weltschmerz auslösen. In den Jahren der Autonomieentwicklung lernen sie, mit solchen Frustrationen umzugehen und aufkommende Gefühle wie Wut, Hilflosigkeit und Trauer zu bewältigen. Dafür brauchen sie uns als Begleiter – wir helfen ihnen durch diesen Sturm hindurch und geben ihnen die Worte dafür, denn auch das ist ein häufiger Grund für Wutanfälle:
Das Kind weiß genau, was es will, aber es kann die entsprechenden Worte dazu noch nicht produzieren. Manchmal gibt es ein Ungleichgewicht in den Entwicklungsbereichen, die sich nach und nach ausgleichen. Damit meine ich, dass Kinder häufig ein gutes Sprachverständnis haben, es aber noch an der Sprachproduktion hapert. Oder dass einige Kinder kognitiv bereits einige Zusammenhänge erfassen, aber emotional noch nicht in der Lage sind, damit umzugehen.
Meistens aber neigen Erwachsene dazu, Kinder kognitiv zu überschätzen.
Wenn das passiert, geht damit oft die Unterstellung einher, dass Kinder z.B. mit Absicht „bocken“, weil ihnen „was nicht passt“. Doch diese Ansicht setzt voraus, dass Kleinkinder bereits über die Fähigkeit verfügen, sich vorzustellen, was im Gegenüber vorgeht.
Doch das können Kinder meist erst ab einem Alter von ca. 4 Jahren!
Die Vermutung „Der:die will dich nur ärgern, nur provozieren“ ist daher falsch, weil Kinder sich noch nicht in jemand anderen hineinversetzen können. Und erst nachdem sie das gelernt haben, also sich in jemanden hineinzuversetzen, folgt darauf der zweite Schritt: Zu verknüpfen, dass die eigene Handlung diese Wirkung beim Gegenüber hat.
Es ist das eine, zu verstehen, wie es dem Menschen geht, der da z.B. weint. Aber es ist was anderes, dann auch noch zu verstehen, was das Weinen ausgelöst hat!
Jetzt wissen wir also, was bei Wutanfällen im Kind vorgeht. Schauen wir uns also mal an, was wir brauchen, um solche anstrengenden Phasen begleiten können!
Was lösen Wutanfälle des Kindes in uns aus?
Kinder in der Autonomieentwicklung brauchen Orientierung. Wie ein Segelboot auf stürmischer See einen Kapitän braucht, der das Schiff durch den Sturm in den sicheren Hafen bringt, so brauchen auch Kinder liebevolle Führung.
Häufig liest man Tipps, wie: Spiegel dein Kind und biete deinem Kind Alternativen an. Doch das klappt oft nicht, wenn Eltern das ausprobieren.
Daher starte ich lieber mit einer Arbeit an der Haltung und an den eigenen Emotionen: Was ist dir wichtig? Was löst es in dir aus, wenn dein Kind immer wieder Gefühlsstürme hat?
Denn die Klarheit über unsere eigenen Emotionen sind unheimlich wichtig für eine gute Begleitung von Wutanfällen. Viele Erwachsene sind nämlich ziemlich gereizt, wenn immer wieder Wut, Frust und Trauer beim Kind auftritt: „Ich mache doch alles für das Kind, wieso bockt es jetzt schon wieder?“
Manchmal werden dadurch ganz starke Gefühle ausgelöst, die verhindern, dass wir dem Kind liebevolle Begleitung und Orientierung geben können.
Wir Erwachsenen müssen uns also zunächst klarwerden: Warum genau ärgert es mich so? Und was brauche ich, um diesen Wutanfall zu begleiten? Wo gibt es vielleicht Spielraum für den Wunsch des Kindes und wo sind Dinge unveränderbar?
Die unveränderbaren Dinge erfordern es, dass wir liebevoll Trost spenden und die Trauer des Kindes da sein lassen.
Stell dir einfach mal vor, der Lieblingsquetschie wäre ausverkauft und dein Kind hat sich schon den ganzen Vormittag darauf gefreut. Es gibt einen riesigen Gefühlssturm, Trauer und Frust bei deinem Kind. Wenn wir dann einfach über die Gefühle hinweggehen und ablenken, verinnerlicht das Kind, dass es nicht liebenswert ist, wenn es traurig ist. Dass das Gefühl nicht so erwünscht ist. Es wird dieses Gefühl also möglicherweise später nicht mehr so zeigen können und eher unterdrücken. Das Kind lernt, dass es eher Anerkennung dafür bekommt, wenn es glücklich (und angepasst) ist.
So begleitest du einen Gefühlssturm
Es ist also unheimlich wichtig, dass wir unangenehme Gefühle „aushalten“ können. Wir geben Halt und Orientierung und helfen durch die Situation hindurch. Wir brauchen keinen „Aus“-Knopf suchen und das unangenehme Gefühl möglichst schnell abschalten. Gefühle wollen gefühlt werden.
Sei da für dein Kind und steht es gemeinsam durch. Du brauchst keine Lösung für dein Kind finden. Wenn der Quetschie ausverkauft ist, braucht ihr nicht in drei weitere Läden fahren, um dort den Quetschie zu kaufen. Es reicht, wenn dein Kind sich in seiner Trauer gesehen fühlt und versteht: Es ist okay, ich darf jetzt traurig und wütend sein. Und vielleicht findet ihr, wenn die Gefühle genug gefühlt wurden, eine alternative Lösung gemeinsam.
Wenn das nur so einfach wäre…
Mir ist klar, dass das in der Theorie ziemlich einfach klingt und in der Realität oftmals gar nicht so einfach ist. Du fühlst dich selbst unzulänglich, wenn es dir nicht gelingt, einen Wutanfall so liebevoll zu begleiten. Außerdem ist es noch viel schwieriger, wenn du selbst total im Stress bist, weil ihr pünktlich bei einem Termin sein müsst oder du einfach auch einen langen Tag hattest.
Wenn du diese Theorie-Praxis-Lücke schließen möchtest, dann informiere dich doch hier über meinen Kurs:
„Kleine Menschen mit großen Gefühlen – Gefühlsstürme gemeinsam meistern“
Dort erfährst du in 8 Wochen, wie du Wutanfälle deines Kindes liebevoll begleitest, ohne dich selbst dabei aus den Augen zu verlieren.
Mein Kurs beinhaltet 8 Gruppencoachings für intensiven Austausch mit mir und öffnet nur Ende September wieder für kurze Zeit seine Pforten.
Ich freue mich auf dich!
Annika Hering
Deine Familienbande