Ja wo fängt man nur an, wenn man Millionen von Gedanken im Kopf herum geistern hat?

Vielleicht erzähl ich euch erstmal von mir, als ich noch keine Mutti war.

Ich bin 19 Jahre alt, ja es scheint jung, doch ich habe in diesen wenigen Jahren so viele Erfahrungen machen dürfen oder gar müssen die mich innerlich älter gemacht haben. Ich war schon zeitig in Psychologischer Behandlung, nicht alles lief gut, aber so ist das Leben und im Endeffekt muss man nur lernen mit den nicht so schönen Ereignissen zu leben. Ich hatte Depressionen, war schon oft so nah an einer Klippe von der ich einfach nur noch fallen wollte. Meine Beziehung, mmh das ist ein Ding für sich, ich wurde mehrmals im Regen stehen gelassen, es war so ein typisches On-Off. Doch ich bin immer wieder zurück und hatte Hoffnung, hab an das Gute geglaubt, denn Liebe lässt sich nicht so einfach abschalten, obwohl ich es mir oft wünschte.

Ja, mit 18 Jahren wurde ich dann schwanger, ich wusste, von heute auf morgen wird sich alles ändern. Ich wusste ich muss von nun an stark sein und dem Lauf des Lebens vertrauen. Ich musste darauf vertrauen, dass alles gut wird, dass ich mein Leben wieder lieben kann, weil ich bald einen neuen Sinn dafür habe. Und da sind schon die Worte, die mich immer und immer wieder nach unten zogen:

„ICH MUSS“

So war es aber nun mal! Ich musste anfangen mein Leben zu mögen, damit mein Kind leben kann.

Ich hatte große Angst davor was passiert, wenn ich mal wieder vor dieser Klippe stehe, und dem Fallen so nah bin. Habe mir die Frage gestellt, ob ich meinem Kind überhaupt gerecht werden kann, wenn ich mit mir selber nicht mal ansatzweise klar komme. Kann das denn überhaupt funktionieren? Ich hatte große Ängste und Zweifel, habe nur mit keinem darüber gesprochen, denn reden fällt mir schon immer sehr schwer. Habe somit schon immer viel in mich hinein gefressen, so auch in der Schwangerschaft. Habe auch da sehr viel geweint, weil mein Kopf einfach immer voll war. Doch sobald ich zur Türe hinaus ging habe ich meine Maske aufgesetzt, die mit dem glücklichen Lächeln, ja es ist anstrengend, aber ich habe es durch die Jahre zuvor gelernt. Natürlich habe ich mich auch gefreut auf meine kleine Prinzessin, war gespannt wie sie aussieht, habe geweint wenn ich sie beim Ultraschall sah. Doch es war immer ein Auf und Ab. Manchmal fragte ich mich auch warum sie da in meinem Bauch ist, warum gerade ich ihre Mutti sein soll, die die eigentlich völlig kaputt ist. Wenn ich diese Gedanken hatte, weinte ich oft Stunden, weil mir diese Gedanken so absurd vorkamen. Und auch wenn es komisch klingen mag, ich habe mich dann unter Tränen bei ihr entschuldigt, habe meinen Bauch gestreichelt und ihr gesagt:

„Es tut mir so leid, bitte sei nicht traurig. Mama liebt dich jetzt schon, bitte denke nicht, dass Mama dich nicht haben will, denn das will sie. Auch wenn du Mamis böse Gedanken hören kannst, glaub ihnen nicht“

Es klingt wirklich total bekloppt, wie soll sie denn auch meine Gedanken hören können? Aber ich fühlte mich so extrem schlecht, dass ich ihr das so sagen musste. Ich konnte nicht verstehen warum diese Gedanken immer und immer wieder in meinen Kopf wollten. Ich habe mich doch gefreut auf meine Kleine. Doch gegen seine Gedanken kann man nicht viel machen, das weiß jeder von uns.

Natürlich habe ich mir auch viele Gedanken über die Geburt und über das Stillen gemacht. Ich hätte gern eine natürliche Geburt gehabt und vom Stillen war ich auch nie abgeneigt. Doch wie sagt man so schön: „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“ und so war es schließlich auch. Mein Frauenarzt machte mir einen Strich durch die Rechnung, denn meine Prinzessin saß im Schneidersitz in meinem Bauch. Somit hieß es schon zur Geburtsplanung ich solle mich mit dem Gedanken an einen Kaiserschnitt anfreunden.

Zum Thema Kaiserschnitt las ich dann viel, doch Sachen wie „Anpassungsstörung“ oder so viel anderes was man in Foren so lesen kann, jagten mir Angst ein. Andererseits dachte ich mir: „Hey du warst auch ein Kaiserschnitt, und dir fehlt auch nix, außer deinen psychischen Knacks den du hast“. Naja, beruhigend ist was anders. Aber ich meinte auch ein Kaiserschnitt kann etwas Gutes haben, so werde ich wenigstens nicht ins kalte Wasser geworfen und ich wusste einen Kaiserschnitt schaffe ich. Bei einer natürlichen Geburt war ich mir da nicht mehr so sicher, denn psychisch heißt meist auch körperlich. Die Schwangerschaft an sich raubte mir schon viele Kräfte weil alles Mögliche mitnahm. Von Übelkeit bis zum 5ten Monat, über Wassereinlagerungen bis hin zur Vermutung auf Schwangerschaftsdepression. Zum Ende hin war ich mega ausgelaugt und wollte auch irgendwann einfach nicht mehr.

Dann Anfang des Jahres war es soweit. Um 7 Uhr sollte ich im Krankenhaus sein, dann sollte es auch schon los gehen. Doch wann läuft schon mal etwas wie geplant? Bei mir sehr sehr selten. Denn wie es ja so kommen musste war an diesem Morgen ein erneuter Wintereinbruch. Meine beste Freundin holte meinen Freund und mich Zuhause ab und fuhr uns ins Krankenhaus. Auf den Straßen herrschte Chaos und somit kamen wir eine viertel Stunde zu spät. Im Kreißsaal sagten sie uns dann, dass sie den OP-Plan aufgrund meiner Verspätung geändert haben und ich wohl erst gegen 11 Uhr dran sei. Auf gut deutsch dachte ich, sie wollen mich verarschen. Es waren immerhin nur 15 Minuten. Fünfzehn nicht sechzig! Die nächste halbe Stunde verbrachte ich am CTG, dann saßen wir auf dem Gang und warteten. Um 9 Uhr fragte ich die Hebamme ob ich mal an die frische Luft darf, denn Krankenhäuser bereiten mir eine Menge Panik. Also ging ich nach draußen, war eine Runde laufen, sollte aber halb elf wieder da sein, falls ich dran bin. Um viertel elf machte ich mich auf den Weg zurück zum Kreißsaal um nicht wieder zu spät zu kommen. Dort angekommen hieß es: „Sie sind immer noch nicht dran, und wir können Ihnen auch nicht sagen wann es soweit ist.“ Ich war auf 180, war müde, hatte Durst und Hunger, doch ich musste ja nüchtern bleiben. Und stellt euch vor, ich durfte mich nicht mal hinlegen oder schon auf mein Zimmer, nein, ich musste auf dem Gang sitzen bleiben, auf den ach so bequemen Stühlen und das bis 14 Uhr. Da kam dann die Hebamme um mich für den OP fertig zu machen. Ich musste mich umziehen, bekam einen Zugang gelegt und ein Mittel, dass mir nicht übel wird. Kurz bevor es los gehen sollte kam der Arzt zu mir und sagte: „Ihre Blutwerte sind nicht in Ordnung, wir müssen Ihnen erneut Blut abnehmen und es ins Labor schicken. Kommt das selbe Ergebnis heraus können wir Sie nicht operieren.“. Ich schaute meinen Freund an und merkte wie mir die Tränen in die Augen schossen. Ich konnte und wollte einfach nicht mehr, dachte mir: „Was soll denn noch alles schief gehen heute? Reicht es nicht langsam?“. Zum Glück ging dies recht schnell und es stellte sich heraus, dass es ein Fehler war, ein FEHLER? So langsam war mir alles egal, ich wollte einfach nur, dass alles ein Ende hat und sie endlich mein Kind auf die Welt holen!

Als ich dann endlich in den OP kam ging alles ganz schnell. Ich bekam eine PDA und paar Minuten später hielten sie meine kleine Prinzessin über den Sichtschutz. Doch was war jetzt? Ich lächelte doch es kamen keine Tränen. Wo blieben diese Freudentränen von denen alle erzählten? Dieses unfassbare Glücksgefühl, das einem die Luft nahm? Ich war total irritiert, fing an mit den Schwestern zu sprechen, fragte ob mein Bauch schon wieder zu wäre, fragte was sie jetzt so machen. Wenn ich jetzt so drüber nachdenke war das wohl eine Art Ablenkungsmanöver. Ablenkung von den Millionen Fragen, „wieso, weshalb, warum?“. Doch vielleicht realisierte ich auch erst jetzt, dass ich Mama bin und war mit meiner Gefühlswelt total überfordert.

An die darauf folgenden 4 Stunden, als ich meine Tochter das erste Mal richtig bei mir hatte, kann ich mich nicht mehr erinnern. Das lag wohl an der Narkose. Später in meinem Zimmer wollte ich eigentlich nur noch schlafen, aber Schlaf wurde in den nächsten Tagen zur Nebensache. In der ersten Nacht kam die Hebamme gefühlt jede halbe Stunde herein und legte mir die Kleine an die Brust. Ich schlief immer wieder für ein paar Sekunden ein. Den nächsten Tag begann ich mit dem Abpumpen. Da mein Körper durch den Kaiserschnitt jedoch nicht auf das Stillen vorbereitet war, konnte ich den Boden der Flasche nicht einmal mit Milch bedecken.

„Nicht mal das kann ich!“

Schlafen, dieses Wort kannte ich schon garnicht mehr. Meine kleine Maus hatte ich nachts auf meiner Brust liegen um wenigstens ein bisschen Ruhe zu haben. Den nächsten Abend ging es dann schon los, meine Angst und Panik vor Krankenhäusern machte sich breit, ich begann zu weinen und seit diesem Abend kam meine Mutti immer vorbei, dass ich nicht so viel Zeit hatte zum weinen und nachdenken. Auch das Abpumpen wurde allmählich zur Qual, meine Brust war angeschwollen und blau, aus ihr kam keine Milch mehr sondern Blut. Das war der Punkt an dem es hieß: Abstillen.

„Na toll, was mach ich denn jetzt? Geht es meinem Baby auch mit Flaschennahrung gut?“

Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass diese Umstellung sogar Vorteile mit sich bringen kann. Ich rappelte mich schnell auf, begann mit der Mobilisierung, biss meine Zähne zusammen und bewegte mich so viel wie möglich, verzichtete am zweiten Tag auf jegliche Schmerzmittel und lief mit dem kleinen Bettchen ständig über den Gang, schön aufrecht, dass die Schwestern sehen, dass alles in Ordnung ist und sie mich schnell nach Hause lassen. Denn so langsam hatte ich das Gefühl das Krankenhaus frisst mich Stück für Stück auf. Ich wollte nach Hause, wollte nicht mehr unter Beobachtung stehen, wollte mich endlich wieder frei bewegen! Vier Tage nach dem Kaiserschnitt durfte ich endlich meine Sachen packen und heim. Auch mein Freund war erleichtert, denn ihn habe ich genau so fertig gemacht wie ich selber war, habe ihn nachts weinend angerufen und wollte ihn in der Früh gleich bei mir haben. Er war ganz schön fertig mit den Nerven.

Als ich dann Zuhause war dachte ich alles wird besser. Aber Pustekuchen. Die Kleine war zwar um einiges ruhiger als im Krankenhaus, schlief gut und kam „nur“ alle zwei Stunden, doch umso lauter war es in mir. Mein Freund ist ein Mensch der Freiraum braucht wenn ihm etwas zuviel wird oder er überfordert/gestresst ist. So ist er abends mit seinen Kollegen weggegangen und schon als er mir „Tschüss“ sagte kullerten bei mir die Tränen. Ich weinte und weinte, lag auf dem Sofa, telefonierte und plötzlich begann mein ganzer Körper zu zittern. Ich bekam kein vollständiges Wort mehr raus, ich konnte nicht aufstehen, war einfach wehrlos gegenüber meinem Körper. So ging es die nächsten Tage weiter. Jedes Mal musste ich meinen Partner bitten nach Hause zu kommen, denn irgendjemand musste sich ja um die Kleine kümmern wenn ich wieder nicht aufstehen konnte. Es war schwierig zu akzeptieren, dass man machtlos war, und nicht wusste was mit einem passierte. Ich vertraute mich meiner Hebamme an. Sie schlug Alarm und schickte mich sofort zu einem Psychiater, damit ich nicht wieder in ein tiefes Loch falle aus dem ich nicht mehr heraus komme. Das Komische war, dass all das nichts mit der Kleinen zutun hatte, ich liebte sie von Beginn an abgöttisch und war in keinster Weise überfordert. Es musste also einen anderen Grund geben.

Nach einem langen Gespräch mit der Psychiaterin, sagte diese: „Also ich kann Ihnen mit Verwunderung sagen, dass sie keine Wochenbettdepression haben, jedoch verarbeiten Sie durch die Hormone ihre Vergangenheit und bringen ihre Beziehungsstörung ans Tageslicht“. Puh, zum Glück habe ich nicht wieder Depressionen! Bei dieser Erkenntnis viel mir ein riesen Stein vom Herzen. Aber eine Beziehungsstörung? Sowas kann ich doch absolut nicht gebrauchen! Aber das war die Quittung dafür, dass ich immer alles in mich hinein fresse und so viele Dinge nicht anspreche, die mir schon so lang auf dem Herzen liegen. Die Quittung dafür, dass ich an das Gute glaubte wenn ich im Regen stehen gelassen wurde.

Auch diese „Erkenntnis“ behielt ich großteils für mich, denn wer kann sich schon viel unter einer Beziehungsstörung vorstellen? Und außerdem hatte ich keinerlei Lust mich zu erklären, denn keiner sollte wissen warum dies so ist. Doch auch das legte sich. Besser gesagt: ich schob es mit in eine Schublade, die man schon fast nicht mehr verschließen kann weil sich so viel Verdrängtes darin befindet. Ich wollte aber nicht mehr weiter darüber nachdenken müssen. Ich wollte als Mama funktionieren.

Nun ist meine kleine Maus schon fast 3 Monate alt. Ich dachte bis heute, dass es mir besser geht und großteils mag das wohl auch sein. Denn wenn ich meine Tochter sehe, scheint wieder Sonne in meinem Leben, in dem es sonst immer so dunkel war. Mit jedem Lächeln, nimmt sie meine Hand und holt mich Schritt für Schritt von meiner Klippe weg. Doch nachdem ich das alles hier geschrieben habe, öffnet sich meine Schublade wieder ein kleines Stück und ein Stück der verschlungenen Vergangenheit schwirrt wieder durch meine Gedanken. Bis diese Schublade leer ist oder offen bleiben kann, ohne das es mich aus der Bahn wirft, wird noch eine Menge Zeit vergehen. Ich weiß jetzt aber, dass sich endlich mal etwas gelohnt hat.

Denn auch an verregneten Tagen scheint in mir die Sonne wenn meine Kleine bei mir ist!

Geschrieben von Janina