Warum wir Kinder nicht manipulativ loben sollten. Noch bevor ich mich mit den verschiedenen Erziehungsmethoden beschäftigt hatte, stieß ich einmal auf einen Artikel in dem stand, dass wir unsere Kinder nicht loben sollten. Irgendwie weckte der Titel mein (misstrauisches) Interesse und ich las ihn aufmerksam durch.

Das erste Babyjahr – ein Meilenstein nach dem anderen

Zu dieser Zeit war meine Tochter circa 9 Monate alt und es war selbstverständlich für mich, dass ich jeden ihrer Entwicklungsschritte mit begeistertem Lob begleitete. Jeder, der das erste Jahr mit Baby erlebt, kennt die Freude die man empfindet wenn das Kind zum ersten Mal den Kopf hebt, anfängt zu krabbeln oder das erste Wort sagt. Es begleiten einen so viele „erste Male“, dass man aus dem Loben förmlich garnicht mehr herauskommt. Und genau dieser Punkt machte mich auf den oben genannten Artikel aufmerksam.

Warum lobe ich mein Kind?

Vorweg möchte ich gleich eines klarstellen: es geht nicht darum sein Kind garnicht mehr zu loben. Es geht viel mehr darum zu hinterfragen warum man in welcher Situation lobt und ob man damit irgendetwas bezwecken möchte. Freut man sich gerade ehrlich über einen neuen Meilenstein seines Kindes oder befindet man sich im Lobrausch?

Eltern im Lobrausch

Einen Lobrausch erleben wir alle – uns ist das nur oft nicht bewusst. Nehmen wir einen normalen Tag. Nach dem Aufwachen meiner Tochter gegen 7 Uhr sage ich: „Oh du hast aber toll geschlafen, sooo lange, bravo!“, dann bereite ich ihre Flasche zu und sie sitzt neben mir auf dem Küchenboden. Ich lobe sie indem ich sage „Du wartest aber brav auf Mama, ganz toll machst du das„, ist die Flasche geleert folgt oft ein Satz wie „Super, du hast alles ausgetrunken!“. Beim Anziehen wird gelobt wie toll sie sich anziehen lässt, beim Spielen wie gut sie denn spiele und auf dem Spielplatz feuere ich sie mit Applaus an die Rutsche hinunter zu rutschen. Das macht sie seit drei Monaten schon, ich applaudiere aber jedes Mal – und mittlerweile applaudiert sie sich selbst. Ich finde das nicht schlimm, aber so langsam schwant mir, dass ich im Bezug auf die Rutsche vielleicht langsam mal mein Lob herunterschrauben sollte, eben weil es kein ehrliches, freudiges Lob mehr ist sondern Lob aus der Gießkanne (gehört bei das gewünschteste Wunschkind).

Ehrliches Lob oder Lob aus der Gießkanne

Seitdem ich mich immer mehr mit der Unerzogen Haltung beschäftige, finde ich es schön sich selbst ein bisschen mehr zu reflektieren. Denn viele Handlungen geschehen unbewusst. Immer wieder erwische ich mich im Alltag dabei in einen Lobrausch zu fallen und wirklich jede Kleinigkeit, die meine Tochter macht, zu loben. Lob aus der Gießkanne trifft es ganz gut – wir überschütten unsere Kinder teilweise mit Lob, als ob wir eine Pflanze gießen und es dabei besonders gut mit dem Wasser meinen. Das man Blumen aber mit zu viel Wasser ertränken kann wissen wir. Das zu viel Loben auch oft negative Auswirkungen auf unsere Kinder haben kann, ist uns oft nicht bewusst. Schließlich haben wir lange Zeit immer wieder gehört: „Strafen ist schlecht, Loben ist gut“. Wenn du dein Kind nur oft genug lobst, dann wird es das machen was du möchtest. Womit wir schon beim manipulativen Lob wären.

 Bitte nicht manipulativ loben!

Ehrliches Lob vs. manipulatives Lob

Unter manipulativem Lob versteht man, dass die Eltern das Loben ihrer Kinder gezielt einsetzen um sie zu erziehen. Kinder wollen gelobt werden. Kinder streben nach positiver Aufmerksamkeit. Wer sein Kind also gezielt lobt schafft Erfolgserlebnisse und das Kind wird vieles bald vielleicht freiwillig oder absichtlich machen um ein Lob zu erhalten. Meine Tochter wartet zum Beispiel schon darauf, dass ich laut „Bravo“ rufe wenn sie die Rutsche hinuntergerutscht ist und applaudiert sich selbst. Tue ich das nicht, fixiert sie mich mit ihrem Blick und klatscht noch einmal drauf los – als ob sie mir zeigen möchte, dass ich vergessen habe zu klatschen. Eigentlich soll meine Tochter rutschen weil es ihr Spaß macht – und nicht um ein BRAVO von mir zu kassieren. Das ist natürlich ein sehr harmloses Beispiel, aber sie ist nunmal erst 14 Monate alt. Dennoch zeichnet sich hier schon ab, dass sie das Rutschen mit einem lauten Lob von mir verbindet. Obwohl ich mich ehrlich freue und sie damit nicht manipulieren will, ist es ein gutes Beispiel dafür, wie manipulatives Lob aussehen kann. Bei älteren Kindern sieht manipulatives Lob zum Beispiel so aus, dass man gelobt wird wenn man sein Zimmer aufräumt, gute Noten schreibt, vorbildlich am Tisch sitzen bleibt, Mama beim Tragen der Einkaufstaschen hilft, etc…

Kinder werden zu Lob Junkies

Kinder, die häufig gelobt werden, gewöhnen sich daran und brauchen das Lob der Eltern um Bestätigung zu finden. Kinder werden abhängig vom Lob der Eltern und brauchen dies um ein gutes Selbstwertgefühl aufzubauen. Dies führt allerdings zu einem Ungleichgewicht. Das Kind fängt an zu denken, dass er nur gelobt (und geliebt) wird wenn es etwas bestimmtes tut. Irgendwann könnte sich das Gefühl einschleichen, dass das Kind, so wie es ist, nicht gut genug ist. Das Selbstwertgefühl ist abhängig von Taten, die die Eltern für gut heißen und loben.

Kinder verlieren ihre Kreativität

Gewöhnen sich Kinder, für alles was sie tun, gelobt zu werden verlieren sie oft ihre Kreativität. Das soll so viel heißen, dass wenn ich mein Kind immer lobe wenn es mir ein Bild malt, dann malt es das Bild nicht mehr für sich und nach seinen Vorstellungen, sondern für mich und nach den Punkten, die ich besonders gut gelobt habe (zum Beispiel habe ich gesagt: „diese Blume hast du aber ganz toll gemalt“ – vielleicht malt mein Kind dann nur noch Blumen). Hobbys werden vielleicht nur gemacht weil die Eltern diese toll finden und ihr Kind diesbezüglich loben und sagen wie stolz sie wären, dass es nun so gut Tennis spielen kann.

Unterstützung statt (übertriebenes) Lob

Kinder brauchen die Aufmerksamkeit ihrer Eltern. Sie brauchen Anerkennung, bedingungslose Liebe und Unterstützung. Natürlich gehört auch ein „BRAVO“ oder „gut gemacht“ zu den Worten, die unsere Kinder hören dürfen, es sollte dennoch immer ehrlich und niemals übertrieben oder manipulativ eingesetzt werden. Nicht (zu viel) zu loben bedeutet nicht, dass einem das Kind egal ist. Im Gegenteil, wenn ich meinem Kind nicht das Gefühl gebe, dass ich es nur lobe wenn es etwas gemacht hat (eine Tat) sondern es ganz einfach immer liebe, egal was es wie macht, dann gebe ich meinem Kind sogar mehr Sicherheit. Es ist sich unserer Liebe immer sicher. Auch wenn es heute nicht die Rutsche hinunterrutscht.

Die Alternative zum Lob

Wer sich nun fragt was man denn machen soll, wenn das Kind etwas toll gemacht hat und das BRAVO schon fast aus einem heraussprudeln will, dem kann ich eine gute Alternative vorschlagen. Wenn ich intuitiv BRAVO drauflos schreien will und meinen Mund schon geöffnet habe, lenke ich das Braaaaaa in ein Braaaahuiiiii um. Manchmal schaffe ich sogar von Anfang an HUI zu sagen. Anstatt die Tat meiner Tochter zu loben erzähle ich ihr einfach noch einmal was sie gemacht hat. „Huiiii du bist gerutscht. Braaaa. Ähm Huiii“ – so ähnlich klingt das bei uns momentan. Ebenso kann man zum Beispiel einfach sagen: „Huhu, ich sehe dich!“ oder wenn das Kind ein schönes Bild gemalt hat, dann beschreibt man was es gemalt hat ohne das Kunstwerk an sich zu bewerten (wenn mir meine Tochter eines Tages ein schönes Bild malt werde ich aber trotzdem sagen, dass mir das Bild gefällt. Dennoch werde ich mich an die Blume erinnern. Sollte sie mir eine Blume malen, werde ich das Bild loben – aber nicht übertrieben die Blume. Wer will schon immer Blumen gemalt bekommen).

Danke statt „gut gemacht“

Wer nun denkt, dass man gute Manieren, ein aufgeräumtes Zimmer oder das Helfen beim Tragen der Einkaufstüten doch loben MUSS – weil es eben gute Taten sind, der sollte sich einmal überlegen wie wir mit einem Erwachsenen umgehen würden. Dieser Denkansatz hilft mir unheimlich, die Sache mit dem „nicht loben“ und auch die Sache mit dem „Unerzogen“ besser zu verstehen. Erwachsene würden wir nie loben (oder bestrafen). Wir sehen Erwachsene als gleichwertig an und wollen sie nicht erziehen oder manipulieren. Warum es also mit Kindern tun? Wenn ich möchte, dass mein Kind gute Manieren hat, dann lebe ich es ihm einfach vor. Ich bedanke mich bei ihm wenn es mir beim Tragen der Taschen hilft und wenn ich möchte, dass es sein Zimmer aufräumt, dann helfe ich ihm dabei. Ich musste als Kind übrigens nie mein Zimmer aufräumen, habe es aber immer wieder, zum Zeitpunkt, der MIR passte, freiwillig getan. Wenn mein Zimmer dann aufgeräumt war hat meine Mutter oft gesagt „oh, hier ist es aber ordentlich“. Eine Feststellung der Tatsache – keine Bewertung.

Alte Gewohnheiten durchbrechen – mehr Reflexion

Ich weiß, es ist erstmal schwierig die Aussage „nicht loben“ in seinen Verstand zu lassen. Oft sagen wir dann ganz überheblich: „Natürlich lobe ich mein Kind. Loben ist doch nichts schlechtes“ – und vermutlich meinen wir das auch alle so. Wir wollen unserem Kind in diesem Moment ja etwas Gutes tun und ihm erst recht nicht schaden. Dennoch sollten wir über unsere Gewohnheiten nachdenken und vielleicht einmal einen Tag ganz achtsam erleben und die Lobe die wir ausgesprochen haben am Abend noch einmal Revue passieren lassen. Wie oft und warum haben wir gelobt? Hat unser Kind wirklich gerade einen tollen Meilenstein erlebt oder haben wir wirklich nur das „große Geschäft“ in der Windel gelobt (und muss man das wirklich loben?). Ich werde meine Tochter weiterhin loben wenn sie etwas ganz toll gemacht hat und ich stolz auf sie bin. Ich werde aber bewusster loben und sie nicht mehr in Lob ertränken. Genauso werde ich darauf achten, sie nicht mit Lob zu manipulieren wenn sie älter ist. Da mich dieses Thema sehr interessiert, wird dies vermutlich nicht mein letzter Artikel gewesen sein.

Weiterführender Artikel zum Thema „Nicht Loben“

WARUM WIR UNSERE KINDER NICHT LOBEN SOLLTEN (Gewuenschtestes-Wunschkind)

Es wurden übrigens mehrere Studien zum Thema Kinder und Loben gemacht. Wer sich dafür interessiert dem kann ich folgende Artikel empfehlen:

Fünf Gründe gegen „Gut gemacht!“  von “ Mit Kindern Wachsen“(Wie wir durch Loben manipulieren und was wir sonst tun können)